Die Schleiereule - Ein Leben im Verborgenen

Von Jürgen Bommer

“DAS EIGENTLICHE HEIM DER SCHLEIEREULE
IST DIE MENSCHLICHE NIEDERLASSUNG,
ALSO EIN FINGERZEIG DER SCHÖPFUNG,
DASS DER MENSCH
SIE GASTLICH AUFNEHMEN SOLL.“
(O.v. Riesenthal, 1905)


Seit der Mensch vor etwa 10000 – 5000 Jahren begann sein nomadisches Leben als Jäger und Sammler aufzugeben und sesshaft zu werden, hat sich unsere Landschaft stark verändert. Es entstanden Siedlungen, Wälder wurden gerodet, Vorräte wurden angelegt und auch Abfälle wurden abgelagert. Die Schaffung dieser Lebensräume ermöglichte es vielen Tierarten neue Nischen zu besetzen.

 

Die Schleiereule - Foto: NABU / SchwammbergerInsbesondere die Rodungen großer Waldflächen und die Zunahme von Feld- und Wühlmaus ergaben immer mehr geeignete Lebensräume für die Schleiereule (Tyto alba). So ist die Schleiereule in unseren Breiten mindestens bis ins Mittelalter zurück als Kulturfolger nachzuweisen. Ausgrabungen belegen, dass Schleiereulen bereits vor einigen hundert Jahren in unseren Städten zuhause waren und, obwohl das obige Zitat schon über hundert Jahre alt ist, hat es nichts von seinem Wahrheitsgehalt eingebüßt.

 

Aber leider hat sich das Bewusstsein für die Natur und das Nebeneinander von Mensch und Tier insbesondere in den letzten Jahrzehnten sehr zum Nachteil für unsere tierischen Mitbewohner verändert. Denn obwohl die Schleiereule auch heute noch hier und da unter uns lebt, ist den meisten Menschen die Eule und ihre Ansprüche an eine für sie intakte Umwelt völlig unbekannt.

 

Die etwa taubengroße Schleiereule, mit ihrem auffallend hellen, herzförmigen Gesichtsschleier, lebt in Mitteleuropa ausschließlich als Kulturfolger in offenen Kirchtürmen, Scheunen und anderen Gebäuden. Und obwohl die meisten der 20 bis 35 Unterarten der Schleiereule weltweit verbreitet sind, fehlt sie doch in einigen extremen Regionen, so zum Beispiel in Nord- und Osteuropa sowie in den meisten Teilen Asiens. Diese Einschränkung ihres Lebensraumes hat hauptsächlich mit dem Nahrungserwerb zu tun. So kommt die Eule nur unterhalb 600 m über NN vor und brütet ausschließlich in Regionen, in denen eine geschlossene Schneedecke über 7 cm an nicht mehr als 40 Tagen im Jahr vorhanden ist. Solche Schneelagen würden es ihr unmöglich machen, ihrer Hauptnahrungsquelle, den Feldmäusen, nachzustellen.

Hohe Schneelagen und feldmausarme Jahre führen daher auch in unseren Breiten dazu, dass die normalerweise standorttreuen Altvögel ihr Revier verlassen. Diese Abhängigkeit der Schleiereule von den winterlichen Witterungsbedingungen und den Feldmausbeständen hat über Jahrhunderte dazu geführt, dass die menschliche Behausung für die Schleiereulenbestände enorm an Bedeutung gewonnen hat. Unabhängig von der Wetterlage kann die Eule dort Spitzmäuse und andere Kleinsäuger erbeuten und auch dem Feinddruck besser begegnen, denn in den dunklen Scheunen und Kirchtürmen ist die Eule ihren Feinden mit ihren feinen Sinnen deutlich überlegen.

Insbesondere ihre Schallortung und ihr völlig lautloser Flug machen sie zu einem perfekten Jäger der Nacht. Eine genauere Beschreibung ihrer Sinnesorgane würde sicher den Rahmen dieses Artikels sprengen, doch sei kurz erwähnt, dass die Ohren bei der Eule unterschiedlich hoch am Kopf sitzen und die von ihrem Gesichtsschleier aufgefangenen Schallwellen daher unterschiedlich am Ohr eintreffen und es der Eule ermöglichen, ihre Beutetiere auf den Zentimeter genau zu lokalisieren.

 

Die Schleiereule schlägt ihre Beute meist aus dem Suchflug heraus oder aber vom Ansitz. Hat sie erst mal eine Beute lokalisiert, führt der Angriff meist zum Erfolg. Ein dichtes Samtpolster auf der Oberseite ihrer Schwingen und eine kammartige Zähnelung an den Kanten der Außenfahnen ihrer Handschwingen ermöglichen ihr einen völlig lautlosen Flug. Die bei den meisten Eulen typische Wendezehe packt die Beute fest und, sollte eine kleine Maus nicht sofort nach dem Griff tot sein, wird sie von der Eule tot geschüttelt oder aber durch einen Genickbiss getötet. Die Schleiereule ist in der Lage Beutetiere bis zu 200 g zu erbeuten, schwerere Tiere kann sie nicht transportieren.

 

Das Nahrungsangebot hat einen nicht unwesentlichen Einfluss auf das Brutverhalten und die Bestandsentwicklung der Schleiereule. Die Eule brütet in der Zeit von April bis September in der Regel 1-2 Bruten mit jeweils 4-7 Eiern aus, und in guten Mäusejahren kann durchaus eine dritte Brut folgen. Die Eier werden ab der ersten Eiablage ausschließlich vom Weibchen bebrütet, während das Männchen für die Versorgung des Weibchens und der Jungtiere mit Nahrung zuständig ist. Die Brutzeit beträgt 30-34, die Nestlingszeit 44-67 Tage. Am Anfang der Aufzucht werden die Jungen vom Weibchen gefüttert, erst nach ca. 15 Tagen sind die Jungen in der Lage, kleinere Beutetiere selbstständig zu verschlingen.

Obwohl die Schleiereulenpaare in Einehe leben, kann es in guten Mäusejahren auch dazu kommen, dass das Männchen mehrere Weibchen begattet und auch mehrere Bruten versorgt! Sollte dem Männchen dann bei der Jagd nichts zustoßen, sind die Jungen meist nach 62-67 Tagen flugfähig und verlassen kurz darauf den Lebensraum der Eltern, um andere Habitate zu besetzen. Man sieht also, dass der Nahrungsbedarf eines Schleiereulenpaares mit 2-3 Bruten von jeweils 4-7 Jungen enorm ist. Bei der Vermehrungsrate von Kleinsäugern wie Feld- und Erdmäusen mag man sich gar nicht vorstellen, wohin deren Populationsdynamik ohne den Beutedruck, u.a. der Schleiereule, führen würde.

Frühere Generationen wussten um solche Zusammenhänge in der Natur und nutzten sie für sich. Die meisten Scheunen z.B. hatten ihre Eulenlöcher im First damit die Eule die Nager kurz halten konnte. Leider sind die meisten Scheuen heute aufgeräumt und verschlossen, und die Schädlingsbekämpfung übernimmt die Chemie.

 

So ist heute neben schneereichen Wintern, der Intensivierung der Landwirtschaft und dem Verlust durch Stromleitungen und Fahrzeuge der Verlust von geeigneten Brutplätzen für Bestandseinbußen maßgeblich. Nicht nur dass es immer weniger offene Gebäude für die Schleiereule gibt, in den wenigen noch vorhandenen ist besonders der Steinmarder zu einer Bedrohung für die Eule und deren Brut geworden.

Eine echte Hilfe für die Schleiereulenbestände ist daher das Anbringen von speziellen Schleiereulenkästen. Diese Kästen werden an oder in geeigneten Gebäuden mardersicher angebracht und erhöhen die Chancen auf eine erfolgreiche Brut erheblich. Selbst Kästen, die von Eulen nicht offensichtlich als Brutstätte genutzt werden, machen Sinn, denn das Männchen ruht während der Brutzeit nicht am Brutplatz sondern braucht einen sicheren Tageseinstand. Diese Sicherheit kann ihm ein Schleiereulenkasten am Tage bieten.

 

Schon seit vielen Jahren engagieren sich deshalb auch Mitglieder des NABU Holzminden für die Schleiereulenbestände bei uns im Landkreis. Über viele Jahre hinweg wurden geeignete Lebensräume und Gebäude erkundet, mit Kästen versehen und die Belegung samt Bruterfolgen kontrolliert.

Leider jedoch ist der Landkreis Holzminden groß und auch die Weser macht manchmal große Umwege bei der Kontrolle der Schleiereulenkästen nötig. Aus diesem Grund sind die Schleieulenbetreuer des NABU Holzminden im Moment kaum noch in der Lage eine flächendeckende Kontrolle der Kästen durchzuführen.

Geht man davon aus, dass eine zumutbare Arbeitsbelastung für einen Betreuer bei einer Anzahl der zu kontrollierenden Kästen von ca. 20 Kästen erreicht ist, haben die Schleiereulenbetreuer hier im Kreis mit momentan ca. 70 Kästen pro Person viel zu viele Kästen zu betreuen! Schafft es ein Betreuer während der Brutzeit 2 Kästen pro Abend zu kontrollieren, benötigt er also 35 Abende. Damit jedoch kann er immer noch keine aussagekräftigen Angaben zum Kasten liefern. Möchte man wissen, ob der Kasten bebrütet wird, ob von Schleiereule oder Turmfalke, ob Junge ausfliegen, da reicht ein einmaliges Hinsehen oft nicht aus.

 

Es wäre daher sehr hilfreich, wenn sich unter den Lesern dieses Artikels Naturfreunde finden würden, die uns gern bei der Schleiereulenbetreuung helfen möchten. Es sind dazu keine besonderen Kenntnisse erforderlich! Wir wollen die Eule nicht wissenschaftlich untersuchen und ihr auch ihre Ruhe lassen; das heißt, es werden keine Kontrollen im Kasten nötig, kein Beringen etc. Eine regelmäßige Sichtkontrolle von außen, ob der Kasten noch in Ordnung ist, ein waches Auge, wer drin ist und was raus fliegt, das allein würde uns schon sehr weiterhelfen. Wer also Interesse hat beim Schleieulenschutz aktiv zu werden ...

5 : 1 für die Turmfalken!

 Von Jürgen Bommer

…So könnte man im Jahr der Fußballweltmeisterschaft das Ergebnis im Wettstreit um die besten Brutplätze zwischen Schleiereule und Turmfalke benennen. Nachdem die seit einigen Jahrzehnten im Landkreis Holzminden ausgebrachten Schleiereulenkästen in den vergangenen Jahren leider nicht umfassend betreut werden konnten, haben sich in den letzten beiden Jahren wieder einige Betreuer daran gemacht, Die Schleiereule - Foto: NABU / Schwammbergerverschollene Kästen zu suchen, neue anzubringen und Bestände zu erfassen. Leider ist es trotz dieser Bemühungen noch nicht gelungen, alle im Kreisgebiet ausgebrachten Kästen zu betreuen bzw. zu erfassen.

Die von den ehrenamtlichen Schleiereulenbetreuern erfassten Kästen brachten in diesem Jahr leider sehr ernüchternde Ergebnisse. War aus anderen Kreisen von ausgezeichneten Eulenbeständen und erfolgreichen Bruten zu hören und zu lesen, kann das zumindest für die von den Betreuern hier vor Ort erfassten Bestände nicht bestätigt werden. Die Kontrollen in unterschiedlichen Regionen des Kreises ergaben, dass nur ca. 50 Prozent der Schleiereulenkästen belegt waren. Und dabei musste festgestellt werden, das die Kästen in einem Verhältnis von fünf zu eins von Turmfalken belegt waren!

 

Nun ist es ja nicht so, dass engagierte Naturschützer ein Problem damit hätten, einem Turmfalkenpärchen seinen sicheren Brutplatz zu neiden. Aber in Gesprächen mit den Menschen, die den Kästen täglich am nächsten sind, nämlich den Besitzern der Gebäude, hörte man immer wieder, dass durchaus auch Eulen vorhanden waren, die Turmfalken bei der Belegung der Kästen jedoch sehr dominant seien und die Eulen daraufhin abziehen würden. Das stellt natürlich für die in ihrem Bestand stärker gefährdete Schleiereule ein echtes Problem dar. Die Schleiereulenbetreuer des NABU Holzminden werden daher in den nächsten Jahren nach Lösungsmöglichkeiten suchen, um an den bekannten Konfliktplätzen beiden Arten gerecht zu werden. Es gab jedoch auch Ausnahmen. So ist uns ein Kasten bekannt, in dem erst eine Falken- und danach eine Schleiereulenbrut stattfand.

 

Ein weiteres Problem für die Schleiereule dürfte auch in der weiteren Umgestaltung der Landschaft liegen. Waren vor einigen Jahren noch hier und da große Brachflächen und Viehweiden auch in Ortsnähe vorhanden (die Schleiereule braucht kurz gehaltene Wiesen oder Brachen zur Jagd), wurden in letzter Zeit vermehrt solche Flächen zum Anbau unterschiedlichster Pflanzen wieder unter den Pflug genommen. Und auch das Verschließen von ehemals offenen Scheunen gefährdet das Überleben der Schleiereule, insbesondere in schneereichen Wintern. Umso erfreulicher ist es daher, dass sich in diesem Jahr mehrere Scheunenbesitzer an den NABU wandten, auf Eulen aufmerksam machten und uns ihre Erlaubnis zum Anbringen von Schleiereulenkästen erteilten.

 

Die ehrenamtlichen Schleiereulenbetreuer des NABU werden durch ihre Arbeit auch in diesem und in den nächsten Jahren versuchen, die Bestände der Schleiereule zu erhöhen und somit dazu beizutragen, diese wunderschöne Eulenart auch in unserer unmittelbaren Nachbarschaft zu erhalten. Dies ist eine Arbeit die Spaß macht und immer wieder eine neue Motivation erfährt, wenn man junge Schleiereulen ausfliegen sieht. Die Schleiereulenbetreuer des NABU Holzminden würden sich über weitere Mitstreiter sehr freuen!